Alle Verhaltensprobleme haben eine einfache Lösung, die meisten davon funktionieren nicht. Oder wie Theorien und Methoden uns einfach nicht weiterbringen wenn es um unsere Hunde geht. Und was wirklich hilft.
Gerne lese ich in diversen Gruppen mit dem Thema Hunde auf Facebook mit, aus rein professionellem Interesse. Meist geht es bei den Beiträgen um Probleme von Menschen mit Hunden, was wenig überrascht. Dauerbrenner sind aggressives Verhalten gegenüber Menschen und Artgenossen, das Problem von „mein und dein“ und die fröhliche Jagd der Hunde auf alles, was sich bewegt. Die meisten Tipps zur Lösung der Verhaltensprobleme kommen von Laien, aus verständlichen Gründen halte ich mich aus diesen Diskussionen raus. Die meisten Ratschläge und Empfehlungen sind grundsätzlich falsch, teilweise gefährlich, manchmal tierschutzrelevant oder einfach nur sinnlos, aber praktisch nie hilfreich. Beinahe jeder Beitrag löst Diskussionen aus, die Lager „DU BIST DER RUDELFÜHRER“ und „probier es mal mit Leckerli - T’schuldigung“ krachen unerbittlich aufeinander. Methodenfreaks („hast du schon mal geklickert?“) und die Anhänger von Flüsterern wie Cesar Milan schenken sich nichts, gar einer wirft die "32.000 Jahr alte Oxytocin Methode" in die Arena und so geht es munter dahin….bis zum nächste Beitrag.
Die wirklich wichtigen Fragen bleiben beinahe immer unbeantwortet: wie ist der Umgang mit dem Hund, welche Erfahrungen hat er gemacht, in welchem Kontext tritt das Verhalten auf, existieren Defizite in der Sozialisierung? Bedürfnisse befriedigt, zumindest die grundlegenden? Und vor allem: wie sieht es auf der Beziehungsebene aus? Diese Fragen sind nicht nettes Beiwerk, sondern die Quintessenz, wenn es um Problemverhalten geht.
Methoden und ihre Theorien
Die Methoden, die meist empfohlen werden, sind eine Ansammlung von Trainingstechniken, nichts Neues oder Großartiges versteckt sich dahinter. Gemeint sind etwa der Klicker, Rütteldosen, Einsatz von Körpersprache, womit meistens das Bedrohen des Hundes gemeint ist, bis hin zum Elektroschockhalsband. Die Theorien, die hinter diesen Techniken stecken, sind ebenfalls nichts Neues, sind also längst überholt oder nur bedingt sinnvoll, wenn es um Verhaltensprobleme geht.
Konditionierungstheorie
Von den Behavioristen des vorigen Jahrhunderts etabliert, haben sie das Individuum als Reiz-Reaktionsmaschine zur Grundlage. In den Versuchen von Skinner & Co wurde ganz bewusst jeder Kontakt mit Menschen verhindert, Hunde fanden sich in großen Apparaturen und Käfigen wieder und konnten dort Hebel und Schalter betätigen. Ja, sogar eine von Tauben gesteuerte Bombe, die Schiffe versenken sollte, wurde erfunden als unmittelbare Anwendung der operanten Konditionierung. Gönnt man sich Literatur dazu oder sieht Behavioristen bei der Arbeit zu, fällt sofort auf, dass hier was fehlt. Das heißt nicht, dass Konditionierung nicht wirkt oder grundsätzlich schlecht ist, sondern nur, dass es kein Allheilmittel ist, mit Futter um sich zu werfen. Und viele Ergebnisse wurden unter völlig weltfremden Laborumgebungen gewonnen. Dennoch glauben heute noch Menschen, das stupide Trainieren mithilfe der operanten Konditionierung löst Verhaltensprobleme.
Dominanztheorie
Dabei soll der Mensch der Rudelführer sein, das Alphatier, der Hund soll sich bedingungslos unterwerfen, gefordert wird Kadavergehorsam. Auch bei dieser Theorie geistern veraltete, überholte Forschungsergebnisse durch die Köpfe von Haltern und Trainern. Einer der Ausgangspunkte für die Theorie war die Erforschung des Sozialverhaltens von Wölfen in Gehegen. Diese bildeten eine recht inhomogene, zusammengewürfelte Gruppe, was zu heftigen Kämpfen führte. Daraus entstand dann das Märchen vom aggressiven Rudelführer, der alle anderen Mitglieder der Gruppe mit Gewalt unterwarf und kein Aufmucken erlaubte. Seit langem aber weiß man, dass Wölfe in freier Wildbahn völlig anders ticken: ein Familienverband mit ausgeprägtem Sozialverhalten, komplexer Randordnung und fein abgestufter Kommunikation, souveräne Anführer statt durchgeknallter Tyrannen. Ein Thema durchaus geeignet für so manche „Führungskraft“ in der freien Wirtschaft.
Triebtheorie
Der Trieb als Motivation für Handlung und Verhalten hat ebenfalls ausgedient, Erklärung, die mit den Worten „der Jagdtrieb“ oder gar „der Hund Ist triebig“ beginnen, kann man getrost vergessen. Das Modell des Triebes wurde in der österreichischen Schule der Verhaltensforschung entwickelt, Konrad Lorenz - immerhin Nobelpreisträger- musste Krücken wie die „Leerlaufhandlung“ einbauen, um Verhalten erklären zu können. Das Modell beinhaltet auch den Triebstau, also quasi den Zustand des Lebewesens, wenn der Trieb nicht ausgelebt werden kann oder darf. Oft hört man dann unsinnige Sätze wie „der Hund spielt, weil er Spieltrieb hat“, was völlig ohne Informationsgehalt ist und nichts erklärt.
Methoden und ihre Grenzen
Natürlich gibt es noch andere Methoden die in den sozialen Medien und auf Hundeplätzen noch herum Gespenstern. Und alle -zu 1000%- haben eines gemeinsam: sie werden dem Hund als Spezies in seiner Komplexität nicht gerecht. Es sind Methoden basierend auf Theorien, die nicht ansatzweise berücksichtigen, was Hunde so drauf haben. Und wie so oft kann ein Problem keine Lösung erfahren, wenn unsere Vorstellung davon zu einfach gestrickt ist. Ja, nicht einmal Darwins Evolutionstheorie reicht, um alles Verhalten zu erklären.
Änderung der Perspektive
Wenn als diese Theorien als Grundlage für Methoden nichts taugen, was hilft uns dann weiter mit unseren Hunden? Zuerst einmal ist es hilfreich einzugestehen, dass der Unterschied zwischen Mensch und Hund ein gradueller ist, also kein fundamentaler. Hunde verfügen wie wir Menschen über Bewusstsein, Emotionen, Willen, Stimmung, Psyche, Motive, die Verhalten erklären. Wir unterschätzen die Komplexität und die Fähigkeiten unserer Hunde nahezu immer, was zu einem guten Teil an unserer Art der Wahrnehmung liegt.
Klein aber oho!
Ein Beispiel aus meiner jüngsten Vergangenheit: meine Große -Mia- hatte sich einen kleinen Schnitt am Fußballen zugezogen. Großes Drama, also den Hund betüdelt, gesalbt, verbunden, und natürlich viel Aufmerksamkeit gegeben. Unsere Kleine -Amy- hat das immer beobachtet, recht unauffällig aber aufmerksam. Zwei Tage später kann sie mit einer Pfote nicht auftreten und humpelt. Kurz darauf ist es eine andere Pfote, die sie nicht auf den Boden setzen will. Wieder Aufregung, allerdings zeigt eine Untersuchung weder einen Fremdkörper noch eine Schwellung, Wunde oder Schmerzempfindlichkeit. Am nächsten Tag ist Prinzessin Flausch wieder die wilde Jagd und fetzt durch den Garten, balgt sich mit ihrer großen Schwester, scheucht den Kater auf den Baum - nicht das geringste Anzeichen für eine Verletzung. Sie hat schlichtweg simuliert.
Was braucht es dazu? Beobachtung, das Ziehen von Schlüssen, das Bedürfnis auch betüdelt zu werden, vielleicht sogar Eifersucht - also eine geradezu planhafte Vorgangsweise mit Motiv. Grandios! Die Anekdote zeigt ganz wunderbar, wozu unsere Hunde fähig sind. Ein anderes Beispiel ist die Hündin Eclipse aus Seattle, die beinahe täglich ohne Begleitung mit dem Bus in den Hundepark gefahren ist. Auch dazu sind Fähigkeiten notwendig, die wir unseren Hunden gar nicht zutrauen, ein Verhalten, das zumindest für mich mit all den Theorien nicht erklärbar ist.
Deshalb ist mit einzigartigen, heilsversprechenden Methoden und gutgemeinten Tipps immer Vorsicht angebracht, die Realität zeigt uns, dass sich Verhaltensprobleme weder weg klickern noch zur Auflösung kommandieren lassen. Was es braucht, ist den gesamten Hund in aller Komplexität zu sehen, seine Geschichte zu berücksichtigen und sich selbst als Partner zu hinterfragen. Und auch mal gut sein zu lassen, mit Disziplinierung, Einschränkung und großen Erwartungen.
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