Stress gehört zum Leben, ob wir das wollen oder nicht. Wie andere Phänomene wie etwa Angst ist Stress evolutionär sinnvoll, hochkomplex und beeinflusst das Verhalten. In der Berufswelt des Menschen krank machend oder auch nur eingeredet als Statussymbol, gilt es bei unseren Hunden genauer hinzuschauen und Zusammenhänge zwischen belastenden Situationen und Verhalten zu erkennen.
Der tägliche Stress
Tagtäglich wird das Wort gebraucht, in allen möglichen und unmöglichen Zusammenhängen. Wir sagen oft „ich ruf dich zurück, bin grad im Stress…“ und meinen eigentlich „ich habe es gerade eilig“. Dann wiederum spüren wir, dass in uns etwas vorgeht, wissen aber nicht wirklich warum wir uns plötzlich so anders fühlen. Und wir versagen, obwohl wir etwas tun, was wir gut können, auf das wir uns vorbereitet haben (Prüfungen, Bewerbe), oft nach Monaten von Training und natürlich hört und liest man von Stress im Zusammenhang mit Hunden.
Was ist Stress und was macht er mit uns? Wenn es um Hunde geht, ist dieses Thema recht populär, leider wird Stress wie auch die Rasse gerne als Ausrede oder Entschuldigung für unerwünschtes oder gar problematisches Verhalten verwendet. Stress ist keine Krankheit, kann aber krank machen. Auf alle Fälle wird Stress als unangenehm empfunden, er holt uns aus dem Gleichgewicht, und wir müssen Energie aufwenden, um dieses wieder zu erreichen. Aber was ist Stress eigentlich?
Stress - was ist das?
Erstmals wurde Stress als Notfallreaktion durch Walter Cannon (1) beschrieben, demzufolge der Körper blitzartig durch die Herstellung einer „Flucht oder Angriffsbereitschaft“ (2) reagiert und die dafür notwendigen Reserven durch Ausschüttung von Hormonen und Neurotransmittern bereitgestellt werden. Vereinfacht erfolgt dies durch Impulse des sympathischen Teils des vegetativen Nervensystems an die Nebenniere.
Ein weiterer Forscher auf dem Gebiet war Hans Selye (3), ein Österreicher. Er beschreibt Stress als Anpassungssyndrom auf sog. Stressoren, also Reize, die als belastend wahrgenommen werden, und erkannte bereits, dass diese Anpassung mehrere Phasen durchläuft:
Die Alarmreaktion dient der Bereitstellung von schnell nutzbaren Energiereserven, Erhöhung von Blutdruck, Puls und Sauerstoffsättigung, was zu verbesserter Durchblutung der Muskeln, einer besseren Durchlüftung der Lungen sowie mehr für das Gehirn verfügbaren Sauerstoff bedeutet. Also alles, was notwendig ist für eine Flucht oder einen Kampf.
Hält dieser Zustand länger an oder wiederholt sich bei ungenügender Erholung, startet der Körper eine Gegenreaktion über den parasympathischen Teil des vegetativen Nervensystems, um die Alarmreaktion abzuschwächen (Widerstandsphase, Resistenz). Dabei kommt es zu ersten körperlichen Beeinträchtigungen, wie etwa Entzündungen, die Toleranz gegenüber (weiteren) belastenden Reizen ist verringert.
Hält die belastende Situation weiter an, kommt es zum Erschöpfungsstadium. Hier kann es zu ernsthaften körperlichen Langzeitschäden kommen, etwa Magengeschwüre, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Depressionen auf psychischer Ebene. Eine massiv herabgesetzte Immunreaktion erhöht auch die Wahrscheinlichkeit von bösartigen Tumoren.
Evolutionsbiologisch verfügen alle Wirbeltiere (4) über die für Stressreaktionen notwendigen physiologischen Voraussetzungen, die verantwortlichen Gehirnareale sind zig Millionen Jahre alt. Stress bzw. die Reaktion auf Stressoren ist also keine Erfindung des Menschen der Neuzeit, sondern eine der wichtigsten Fähigkeiten höherer Lebewesen.
Der Sinn des Stress
Was bringt das alles? Auf alle Fälle einen Vorteil im „survival of the fittest“: durch die akute Bereitstellung von Energie in der Alarmreaktion erhöht sich die Wahrscheinlichkeit des Überlebens bei Kampf oder Flucht, die mittelfristigen Anpassungen im Stoffwechsel und Immunsystem sind ebenfalls von Vorteil.
Stressoren als Auslöser
Was sind jetzt Stressoren? Das sind einerseits äußere Reize wie etwa der Erzfeind der um die Ecke kommt, Umweltbedingungen wie extreme Hitze oder Kälte, Schlafentzug, Ressourcen die trotz großen Einsatz und Risiko verloren gehen wie bei einer Jagd ohne Beute, Zeitdruck oder Monotonie, soziale Konflikte in der Gruppe, aber auch innere Zustände, Emotionen wie Angst und Panik. Ein Stressor ist auch ganz allgemein ein wahrgenommener Reiz, der nicht mit abgespeicherten Reaktionen beantwortet werden kann, es fehlt also eine Referenz, eine Strategie (coping).
Für die Dauer und Intensität der Stressreaktion ist entscheidend, ob die Situation als bewältigbar beurteilt wird. Diese Bewertung ist einerseits von genetischen Faktoren abhängig, aber auch von gemachten Erfahrungen. Stress hat also auch eine persönliche, individuelle Komponente aufgrund kognitiver Bewertungsprozesse, der Umgang mit Stress ist zu einem Teil erlernbar und auch trainierbar.
Stress der krank macht
Im Zusammenhang mit Hunden wird zumeist die Definition nach Broom (5) verwendet, obwohl diese aus der Nutztierhaltung stammt: Stress ist ein Umwelteffekt auf ein Individuum, der dessen Kontrollsystem überlastet und zu nachteiligen Konsequenzen, also etwa reduzierter Fortpflanzungsfähigkeit, gesundheitlichen Schäden oder ähnlichen Langzeitwirkungen, führt. Deshalb ist das Thema auch wichtig für uns Hundehalter: Stress im Sinne von nicht mehr kontrollierbar macht unsere Hunde krank, ihr Verhalten verändert sich, und das oft nicht zum Guten. Klar wird auch, dass Stress laut dieser Definition nicht die Alarmreaktion (Eustress) beinhaltet, sondern nur die tatsächlich krank machende Phase (Distress).
Hinschauen lohnt sich
Es lohnt sich also diesbezüglich wachsam zu sein, vor allem wenn es um Welpen, Junghunde und Hunde aus dem Tierschutz geht. Hier sind oftmals noch keine entsprechenden oder eben nicht mehr passende Strategien zum Umgang mit Stress etabliert (6), alles wirkt belastend. Zumal der Hund dann viel zu wenig Ruhepausen bekommt, natürlich unter dem Stichwort „Auslastung“. Es ist keine Seltenheit, dass Hunde von ihren Menschen mehrere Stunden täglich „bespaßt“ werden, nur weil in einem Artikel im Internet jemand meint, diese Rasse muss „ausgelastet“ werden. Andererseits ist eine Belastung durch milden Stress durchaus förderlich für die Entwicklung, schon in der postnatalen Phase kann dadurch eine gute Grundlage für einen entspannten Hund gelegt werden. Wie so oft macht die Dosis das Gift.
Im nächsten Artikel geht es um die Erkennung von Stress bei Hunden und was wir tun können.
(1) Walter Cannon (1871-1945) bei der Erforschung des Posttraumatischen Belastungssyndroms (PTBS) an Kriegsveteranen 1915
(2) Im Zusammenhang mit Hunden spricht man heute von fight, flight, freeze, fiddle, also kämpfen, flüchten, erstarren oder blödeln.
(3) Hans Selye (1907-1982), österreichisch-ungarischer Forscher
(4) Also nicht nur Säugetiere sondern auch Frösche, Vögel und Fische
(5) Donald Broom (1942), „The scientific assessment of animal welfare“, 1988
(6) Für Hunde aus dem Auslandtierschutz weil eben keine Strategien für die aktuelle, neue Umgebung (Haus, Menschen, Autos,…) vorhanden sind.
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