Manch Hundehalter hat sich vielleicht schon geärgert weil sein Hund ganz wunderbar Sitz und Platz macht aber es nicht schafft zu warten bis die Heckklappe des Autos ganz offen ist. Der Hund drängelt und winselt, der Mensch brüllt und flucht, am Ende ist Stress und nicht Spaß und Freude. Oftmals ist das das Resultat von falschen Prioritäten in Erziehung und Training, oft auch das Ergebnis einer falschen Zielsetzung.
Es war im Sommer, ich geh mit meiner Großen an der Liesing entlang und wir geniessen die Nachmittagssonne. Mia war kurz im Wasser gewesen, wie immer nur bis zur Schulter. Wir hören plötzlich ein sehr deutliches „Fuss“ ohne genau zu sehen wer es gerufen hat. Kurz darauf wieder „Fuss“, diesmal mit aller Macht gebrüllt. Ein paar Schritte weiter sehe ich eine Frau mit einem Schäferhund der neben ihr sitzt und den Kopf einzieht. Als die Frau uns sieht brüllt sie wieder los, diesmal „Sitz!!!“ obwohl der Hund doch schon unmittelbar neben ihr sitzt. Mia ist völlig irritiert, und ich auch. Um Missverständnissen vorzubeugen nehme ich meinen Hund an die Leine und gehe freundlich grüßend einen großen Bogen um Frau und den Schäfer. Ein paar Sekunden später hör ich wieder „Fffffussssss!!!! FFFUSSSSS!!!“, und ich glaube Mia den Kopf schütteln zu sehen. Wir spazieren weiter, zu Hause verstehe ich dann was ich da gerade erlebt habe. Und ich erinnere mich zurück an die 80er als ich verzweifelt versucht habe meinem Hund dazu zu bringen einen Menschen zu suchen in dem ich ihm laut „Such!“ ins Ohr gebrüllt habe….
Was wir von unseren Hunden verlangen…
Praktisch alles was wir tagtäglich von unseren Hunden erwarten und verlangen müssen wir ihnen lernen, und wir erwarten eigentlich viel: geduldiges Warten auf das Futter, langsames Gehen an der Leine ohne ziehen, freundliches Verhalten gegenüber Menschen und anderen Hunden und sei es der Erzfeind, Gehorsam sei es noch so schwierig weil gerade aufgeregt und gestresst, bellen wenn sie bellen sollen um dann wieder aufzuhören wenn wir es gut finden, Ball bringen aber nicht Radfahrer jagen, entspannt Ohren und Zähne untersuchen lassen, mit einem Wort: Gehorsam, Anpassung, Unterordnung. Dabei vergessen wir gerne dass wir ihnen auch beibringen müssen was wir von ihnen wollen, und das erfordert Zeit und Wissen. Und da beginnt die Krux. Die Zeit haben wir nicht, zumindest behaupten wir das gerne. Und Wissen über Trainingstechnik haben wir sowieso, schliesslich <hier bitte eigene Begründung einfügen>.
…und was sie wirklich können müssen
Es stellt sich für mich generell die Frage was unsere Hunde können müssen. Ist es tatsächlich die Trainingszeit wert dass der Hund korrekt sitzt oder liegt? Wäre es nicht besser er würde ein Sitz oder Platz auch auf Distanz befolgen, dafür schlampig sitzen oder liegen? Muss ein „Fuss“ in den Augen von Kampfrichtern Zustimmung finden oder reicht es damit mal 20 Meter durch eine schwierige Situation zu gehen? Im Grunde reicht ein zuverlässiger Rückruf, anständiges gehen an der Leine, ein Stop! und ein bleib-wo-du-bist, alles andere ist die Kür.
Fundamente braucht der Hund
Was also sollen wir unsere Hunden lernen wenn nicht Sitz-Platz-Fuss? Hier eine unvollständige Aufzählung der wichtigsten Themen die wir im ersten Lebensjahr adressieren sollten:
Vertrauen zu uns Menschen: das vielzitierte Urvertrauen müssen wir uns erarbeiten, jeden Tag. Da hilft kein Kurs in der Hundeschule, oder ein Webinar, da sind wir als Mensch gefragt im täglichen Umgang mit unseren Hunden. Haben wir es jedoch geschafft durch Fairness, Höflichkeit und Berechenbarkeit eine vertrauensvolle Verbindung herzustellen, fällt so manches viel leichter.
Selbstbewusstsein/Selbstwirksamkeit (ICH kann/ich KANN): ein Hund der gelernt hat dass er nicht hilflos ausgeliefert ist und etwas richtig gut kann (und sei es nur den Futterbeutel finden) wird in vielen Situationen stabiler, unaufgeregter ja vielleicht sogar entspannter reagieren. Das „ICH kann/ich KANN“ erreichen wir durch gezieltes, konsequentes fördern der Fähigkeiten und Vorlieben unserer Hunde und Erfolgserlebnisse.
Optimismus: ja auch einem Hund kann man eine optimistische Sicht auf die Welt da draussen beibringen, was dann hilft wenn mal etwas völlig neu ist oder sich die Situation überraschend ändert.
Regulationsfähigkeit (Impulskontrolle, Frustrationstoleranz, Geduld): sich zurücknehmen, Bedürfnisse aufzuschieben, nach der Aufregung rasch wieder „runter“ zu kommen ist unendlich wertvoll. Das beginnt im Welpenalter mit der Futterschüssel und dem Verlassen des Hauses, jeden Tag gibt es ein halbes dutzend Gelegenheiten an der Regulationsfähigkeit unserer Hunde zu arbeiten.
Beginnt man diese Fähigkeiten schon im Welpenalter zu trainieren hat man das Fundament gelegt, nicht nur für Alltagstauglichkeit sondern auch für das Training anderer Fähigkeiten, sei es im Sport oder beim Einsatz etwa als Suchhund. Schafft man es noch diese Fähigkeiten über das Spiel zu entwickeln wird es richtig gut, weil der Hund etwa beim Warten auf die Suche nach dem Futterbeutel eben jene Selbstregulation in Vorfreude (!) erlebt und nach dem Finden und bringen das Selbstbewusstsein (!) auch noch wächst. Genau diese Selbstregulation ist etwa die Grundlage für anständiges Gehen an lockerer Leine.
Trainingstechnik ist gefragt
Die Herausforderung dabei ist: Trainingstechnik und das Erkennen von Fortschritt ist schwieriger als dem Hund Sitz-Platz-Fuss beizubringen, denn wie messe ich beispielsweise die Regulationsfähigkeit? Oftmals ist auch Futter als Belohnung in diesem Zusammenhang kontraproduktiv und wir müssen uns wirklich anstrengen, aber nur weil etwas schwierig ist aber dennoch Sinn macht lässt man es doch nicht bleiben, oder?
Zum Schluss: natürlich hat ein Sitz-Platz-Fuss seine Berechtigung erarbeiten sich Hund und Mensch das auf positive, non-aversive Weise. macht es auch Sinn. Priorität sollten aber die oben genannten Punkte finden, sie bilden die Grundlage für Zuverlässigkeit.
PS: unsere Hunde haben ein fantastisches Gehör, machen Sie doch mal den Versuch und flüstern Sie Ihr „Sitz“ oder „Platz“.
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