Pöbeln, stänkern, aggressives Verhalten an der Leine kennt wohl jeder Hundehalter; für manche wird das Problem so groß, dass sie ihre Gassirunde in die Nacht verlegen. Wie es zur Leinenaggression kommt und Tipps für derartige Situationen findest du in diesem Artikel.
Nach einem herrlichen Morgenspaziergang war ich mit den Hunden am Weg zurück zum Auto. Es war fast kitschig: Die Sonne ging auf, die Vögel zwitscherten, ich hatte mir für den Rest des Tages einiges vorgenommen und die Hunde watschelten zufrieden an der Leine neben mir. Man war viel gelaufen, hat alles Mögliche beschnüffelt, kurz mal die Füße ins Wasser gehalten, den einen oder anderen Kumpel begrüßt, bei deren Mensch ein Leckerli abgestaubt und auch wieder mal Parfum vom toten Fisch aufgetragen, sodass daheim wohl wieder die Dusche aufgesucht würde.
Kurz bevor wir auf dem schmalen Weg unser Auto erreichen Panzer von rechts: ich nenne den Herrn Horst und seinen Hund -ein Boxerrüde- Heinz. Wie die beiden tatsächlich heißen tut nichts zur Sache. Sofort ist klar, dass Heinz meinen Mädels schon mal imponiert, dann droht. Meine Große schaut mich kurz an und ich nuschle mein „aaaalles guuuut“, versuche dabei, mit den beiden ganz an den Rand des Weges zu gehen und ihre Aufmerksamkeit zu behalten. Horst und Heinz marschieren im Stechschritt mitten am Weg frontal und schnell auf uns zu und dann passiert was so passiert: die Hunde krachen ineinander, kurz und heftig, viel Aufregung, Gekläffe und Geknurre. Endlich im Auto ärgere ich mich fürchterlich. Nicht über meine Mädels, sondern über die hirn- und rücksichtslosen Menschen, die nach dem Motto „Platz da, ich komme“ durch die Welt gehen. Keine Chance, irgendwie auszuweichen, entspannt durch die Situation zu gehen. Wie gesagt: ärgerlich.
So entsteht Leinenaggression
Von Leinenaggression spricht man, wenn dein Hund ausschließlich an der Leine aggressives Verhalten gegenüber anderen Hunden zeigt, aber im Freilauf kein Problem mit ihnen hat. Einer der Gründe für das Entwickeln einer Leinenaggression ist das Unterschreiten der Individualdistanz, was Hunde und Menschen generell nicht so schätzen. An der Leine kann dein Hund die Distanz zum gegenüber nicht vergrößern, was ihn praktisch dazu zwingt aggressives, distanzforderndes Verhalten zu zeigen. Damit geht ein unerwünschter Lerneffekt einher: Der Hund lernt, dass sich aggressives Verhalten auszahlt und zum Erfolg führt, da der andere Hund üblicherweise weitergeht (operante Konditionierung). Weiters werden Hundebegegnungen, die so ablaufen, negativ (klassisch) konditioniert, d.h. das bloße Näherkommen eines anderen Hundes lässt Angst und Aggressionsbereitschaft wachsen, vielleicht noch begünstigt durch den Menschen, der die Leine verkürzt, ein dünnes Halsband oder gar eine Würgekette.
Ein anderer unerwünschter Lerneffekt ist das gute Gefühl des Gewinnens: Eine Auseinandersetzung rein subjektiv (!) gewonnen zu haben, fühlt sich gut an und motiviert deinen Hund, das nächste Mal wieder so zu reagieren. Es ist die Lust am Sieg, besonders bei pubertierenden Rüden, denen gerade das Testosteron einschießt.
Wir wollen bei Hundebegegnungen negative Lerneffekte vermeiden und positive Begegnungen zulassen. Dazu müssen wir Menschen unsere Hunde vorausschauend durch die Welt führen und Begegnungen so gestalten, dass sie den gewünschten Lerneffekt erzielen. Jedes negative Erlebnis unserer Hunde an der Leinen erhöht die Chance auf eine Leinenaggression, wie Heinz sie gezeigt hat. Und die ist ansteckend. Je nach Persönlichkeit des Hundes, Erziehungsstand und Heftigkeit der Situation kann das recht schnell gehen und der angepöbelte Hund übernimmt die Strategie.
Hundebegegnungen an der Leine meistern
Wie also die Situation bewältigen mit minimaler Aufregung? Was können wir Menschen beitragen, dass es anders abläuft, ohne Krach und Aufregung? „Leine ist Leo“, sagt mein Freund Christian immer. Das heißt, es gibt keinen Kontakt zu anderen Hunden an der Leine, Punkt. Und das ist auch schon der erste Tipp: Ein freundlich aber bestimmtes „Können Sie Ihren Hund an die Leine nehmen!“ Oder „Bitte rufen Sie Ihren Hund zurück“ kann helfen, auch wenn das Gegenüber meint, die Hunde wollen jetzt spielen. Nein, wollen sie üblicherweise nicht. Ist mein Hund im Freilauf, rufe ich ihn ab und leine ihn an, was auch erklärt, warum ein guter Rückruf unbedingt notwendig ist.
Leinenführigkeit richtig trainieren
Dein Hund sollte schon in der Abwesenheit anderer Hunde an der Leine kontrollierbar sein, d.h. dir Aufmerksamkeit geben, sich von dir führen lassen, ausreichend Frustrationstoleranz gelernt haben, um die Einschränkung durch die Leine zu akzeptieren. Dazu ist entsprechendes Training notwendig, eine positiv trainierte Leinenführigkeit reduziert die Gefahr von Leinenaggression massiv, auch ein positiv aufgebautes und besetztes „bei Fuß“ kann helfen. Nochmal: positiv! Gemeint ist damit auch das „bei Fuß“ als Werkzeug, nicht, was gemeinhin bei Bewerben verlangt wird.
Körpersprache des Hundes verstehen
Wenn möglich, versuche das gegenüber abzuschätzen, wie verhält sich der Hund, der mir entgegenkommt? Beschwichtigt er bereits auf einige Meter Distanz, dreht sich weg und schnüffelt? Bleibt er stehen und geht ins Imponieren oder drohen? Legt er sich hin, sprungbereit? Was tut mein Hund? Geht er nach vorne? Aufgeregt? Droht und imponiert er? Was nicht erspart bleibt, ist das kleine Einmaleins der hündischen Körpersprache zu lernen, um in derart fordernden Situationen kühlen Kopf zu bewahren. Das erlaubt es dir auch mal einfach an dem anderen vorbeizugehen, weil du an seiner Körpersprache siehst, dass er und dein Hund völlig entspannt sind. Und schon habt ihr ein gutes Erlebnis an der Leine!
Cool bleiben
Jedenfalls sollte die oberste Regel für dich sein, möglichst entspannt zu bleiben, Aufregung und Stress würden sich nur auf deinen Hund übertragen und die Sache schlimmer machen. Wer also die Leine (noch) kürzer nimmt, den Hund ermahnt, wofür auch immer, wird ebenfalls nicht sonderlich souverän durch die Begegnung gehen. Apropos souverän: je lauter und aufgeregter du in so einer Situation mit meinem Hund bist, desto weniger souverän wirkst du auf ihn, was den Hund vielleicht sogar dazu veranlasst, die Sache in Zukunft selbst zu regeln.
Ausweichen und Aufmerksamkeit fordern
Nie falsch ist man, wenn du einen Bogen gehst oder dich mal kurz abseits hinter einen Baum stellst. Das mag mancher gar nicht so hören oder gar tun, was jetzt oft an der Einstellung des Menschen liegt, aber du gibst dem Hund, was er braucht: Distanz. Du kannst ein paar Meter abseits von deinem Hund Aufmerksamkeit einfordern und ihn so gar nicht in die Aufregung kommen lassen. Das kann man wunderbar mit einem kurzen Spiel belohnen, die Begegnung wird dabei neutral bis positiv abgespeichert, Herz, was willst du mehr?
Leckerli sind die Ausnahme
Nicht helfen, aber oft schaden tun Leckerli: viele Hunde werden in der Erwartung von Futter noch aufgeregter, als es der andere Hund ausmacht, kommt noch ein Ressourcenproblem dazu, ist das Malheur perfekt. Einzige Ausnahme: es geht gar nicht anders und ich muss meinen Hund ablenken, dann muss das Futter aber im Dauerfeuer kommen, sodass mein Hund gar keine Chance hat, den anderen Hund richtig wahrzunehmen.
Training bei Leinenaggression
Hat mein Hund schon ein Problem mit Begegnungen und lässt sich diese nicht vermeiden, liegt es in der Verantwortung des Menschen, auch mal das gegenüber aufzufordern, kurz zu warten. Ein „können Sie bitte mit ihrem Hund Abstand halten - Daaaanke!“ wirkt oft Wunder. Und auch gezieltes Training mit einem kompetenten Trainer wird sich positiv auswirken.
Am Ende bleibt nur eines: lerne deinen Hund richtig gut kennen, lass am Spaziergang das Smartphone in der Jacke und führe ihn vorausschauend durch die Menschenwelt, du ersparst dir und anderen dabei einige Aufregung und vermeidest das Entstehen von Problemverhalten.
PS: beinahe überflüssig es sei aber noch mal explizit angemerkt - unangenehme Hundebegegnungen bedeuten natürlich Stress für deinen Hund.
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