Im letzten Artikel ging es um Stress als Phänomen sowie um den Nutzen, den er aus evolutionärer Sicht hat. In diesem Artikel soll es um den krankmachenden Stress unserer Hunde gehen, wie wir Hundemenschen ihn erkennen und was wir dagegen tun können.
Nala ist eine zweijährige Border Collie Hündin, die ihre Menschen über alles liebt. Jeden Morgen fährt sie mit ihrem Frauchen mit dem Auto zur Gassirunde. Im Auto ist sie ruhig, hechelt leise vor sich hin, legt die Ohren zurück und schluckt öfter mal. Nichts Aufregendes. Nach einer Stunde spazieren in der Natur darf sie mit ins Büro. Dort ist sie der bravste Hund der Welt, macht keinen Mucks, steht nicht von ihrer Decke auf, zeigt wenig Interesse an der Umwelt. Abends fährt sie mit dem Auto nach Hause, isst mäkelig, und Frauchen macht sich Sorgen weil sie so dünn ist. So weit zu Nala.
Warum es krank macht
Stress macht krank, aber warum? Reaktionen auf Stress bereiten einerseits auf Flucht und Kampf vor. Dabei ist es von Vorteil, wenn etwa die Blutgerinnung schneller vor sich geht. Was beim Kampf mit einem Säbelzahntiger im Falle einer Verletzung helfen kann, wird aber zum Problem, wenn es durch Gefäßverschlüsse zu Infarkten kommt. Der moderne Mensch hat vorgezeigt, wie man sich in den Stresstod lebt. Ein anderer Effekt ist ein durch die Ausschüttung von Cortisol aus der Nebennierenrinde veränderter, gesteigerter Stoffwechsel der Muskeln in Eiweiß umbaut, den Blutzuckerspiegel erhöht und somit zu Diabetes führen kann. Und wer einmal einen Burn-out Patienten erlebt hat, dem werden einige Sätze in diesem Artikel bekannt vorkommen.
Immer, wenn zwischen belastenden Situationen die durch einen Stressor ausgelöst und nicht zufriedenstellend bewältigt wurden, zu wenig Zeit für Erholung und Abbau der Stresshormone bleibt, wird es schlimmer, der Spiegel der Stresshormone steigt an, immer schlechter kann der Organismus mit den belastenden Situationen umgehen. Klar ist: Kein Lebewesen geht ohne Stress durch das Leben, allerdings sollte uns auffallen wenn unser Hund aus dem Stress gar nicht mehr rauskommt. Es geht also erstmal um Bewusstsein ohne Aufregung.
Stress erkennen
Beobachten wir unsere Hunde doch mal ein paar Tage und notieren wir, was uns auffällt. Im besten Fall ist die Liste leer, auch einige wenige Symptome sind ganz ok, wenn sie fallweise, nicht gemeinsam oder in einem bestimmten Kontext auftreten. Umso länger die Liste die wir notieren wird, desto mehr sollte man sich Gedanken machen. Stress kann also folgende Anzeichen haben, wobei die Aufzählung vermutlich nicht vollständig ist. Klar abgrenzen müssen wir uns allerdings von Angst und Aufregung, die manchmal ähnliche Verhalten hervorbringen:
Kleine weiße Schuppen im/am Fell, plötzlicher Haarausfall
Schaumiger Speichel im Maulwinkel, aber auch vermehrtes Schlucken
Starkes Hecheln ohne Anstrengung und/oder Hitze, manchmal wird auch die Zunge an den Rändern hochgerollt
Viele Beschwichtigungssignale, öfter und länger nach hinten gestellte Ohren
Übersprungshandlungen (Kratzen, in die Leine beißen)
Erhöhter Muskeltonus und dadurch steifer Gang, zittern, sich schütteln, strecken
Überreaktion (Angst, Aggression) auf üblicherweise neutrale Reize, Geräuschempfindlichkeit
Erlerntes nicht abrufbar (Sitz!, an der lockeren Leine gehen)
Hund nimmt kein Futter an
Durchfall, Erbrechen, Appetitlosigkeit
lecken an den Pfoten
vermehrtes Kot absetzen („Stresskoten“) und urinieren
Gerötete Augen und verklebte Augenwinkel, erweiterte Pupillen
Vermehrtes trinken (oft nur kurzes nippen am Wassernapf)
Besonders wichtig ist das Verhalten im Kontext zu sehen und auf das Auftreten mehrerer Anzeichen zu achten. Ein Hund kann ja mal Durchfall haben, was noch lange nicht heißt, dass er Stress hat. Hechelt mein Hund stark obwohl er im klimatisierten Auto sitzt, läuft er dauern zum Wassernapf um die Zunge dreimal einzutauchen oder erschreckt er bei jedem Geräusch, bedeutet das akuten Stress.
Ursachen
Die Ursachen dafür können vielfältig sein, und man sollte sie aus der Sicht des Hundes betrachten, wie am Beispiel des Autofahrens. Dazu gehören Änderungen in der Wohnsituation, Verlust einer Bezugsperson oder deren Krankheit, medizinische Gründe wie Krankheit oder nachlassen der Sinne im Alter, Leistungsdruck, zu wenig Ruhephasen, all das kann Stress verursachen.
In der Erschöpfungsphase kommt dann Gewichtsabnahme durch den gestörten Stoffwechsel, depressives Verhalten dazu, und dann ist wahrlich Feuer am Dach. Oftmals -und das ist erschütternd- sind die Menschen ganz stolz auf ihren braven Hund und nehmen die erlernte Hilflosigkeit als Ergebnis ihrer konsequenten Erziehung.
Was tun gegen Stress?
Es ist also ratsam etwas zu tun, und wie so oft geht es nicht darum, einen Idealzustand anzustreben, sondern pragmatisch so viel wie möglich zu tun und sich mit dem Rest zu arrangieren. Hier dazu einige Gedanken die wieder keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben:
Meiden der belastenden Situationen durch Anpassen des Tagesablaufes oder der Umgebung (Halsband statt Brustgeschirr, Hundesitter damit Hund nicht alleine bleibt)
Stabile, für den Hund vorhersagbare Tagesabläufe gestalten, Rituale einbauen
Ruhepausen einhalten (auch erwachsene Hunde ruhen bis zu 18 Stunden am Tag)
Grundbedürfnisse sicherstellen - das bedeutet ausgewogenes, verträgliches Futter, frisches Wasser, Ruheplätze die auch angenommen werden, Bewegung, Sozialkontakte!
Entspannung fördern (DAP, Lavendelöl, konditionierte Entspannung, Massage, Übertragung einer entspannten Stimmung durch Mensch, ...)
Trainieren (Frusttoleranz, Resilienz, artgerechte Beschäftigung, Selbstwirksamkeit und Selbstbewusstsein, ...)
Aufbau und Pflege einer Bindung (Berührung, Führung, Spiel,...)
Was definitiv nicht hilft:
Kastration (im Gegenteil, Sexualhormone als Gegenspieler des Cortisols entfallen)
(Noch) Mehr Auslastung
Rigide, aversive Erziehungsmethoden
Totale Ruhigstellung des Hundes
Abschliessend
Ein wesentlichen Beitrag zum Verständnis von Stress leisten die Aufzeichnungen über das Verhalten von Strassenhunden. Diese erlauben uns Rückschlüsse auf das was Hunde wirklich wollen und brauchen (1). Und da ist eben nichts von dem was wir ihnen tagtäglich zumuten, sie aber meist geduldig über sich ergehen lassen.
Zurück zu Nala, die ihren Stress nicht abbauen kann weil sie ihn tagtäglich wieder neu erlebt: toll wäre es könnte sie den Stress hinter sich lassen, und dann lernen ohne ihn im Auto zu fahren. Vielleicht ist sie dann im Büro nicht mehr so ruhig, geht auch mal eigene Wege, schnorrt bei einer Kollegin was von deren Mittagessen. So wie Hunde eben sind.
(1) „Streunerhunde“ - Kitchenham, Kosmos Verlag
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