Erziehst du schon oder konditionierst du noch? Das leidige Thema der aggressiven Hunde hat genauere Betrachtung verdient, vor allem weil dieses Phänomen immer stärker in Erscheinung tritt. Wir Hundehalter tragen Verantwortung, eine Konsequenz davon ist die Pflicht unsere Hunde zu erziehen und nicht nur zu bespassen.
„Ja, aber wir haben doch viel trainiert und er kann alle Kommandos!“ - dieser Satz einer Hundehalterin, deren Hund gerade kräftig zugebissen hat, lässt mich wochenlang nachdenken, was da schiefläuft. Es ist nämlich der dritte Hund in einer Woche, der seine Zähne einsetzt. Das macht nachdenklich, auch und weil vor allem die Reaktion der Halter oft eine eher verharmlosende ist. Aber auch ohne Beissvorfälle erlebe ich oft Hunde die ihren Menschen völlig ignorieren, distanzlos und aufdringlich sind, so einfach „ihr Ding“ machen.
Die Dressur des hundes
Das Training in der fiktiven Hundeschule „HündchenPfötchenParadies“ ist das Gegenteil von dem, was auf Abrichteplätzen auch heute noch zu beobachten ist, aber mit dem gleichen Ziel: Dressur durch Konditionierung, der Hund als Reiz-Reaktionsmaschine wird programmiert auf Sitz-Platz-Fuß. Mit vollen Händen wird im Sekundentakt Futter reingesteckt für mäßige Leistungen. Will ein Hund partout nicht, darf er sich auf einem Nebenplatz zur Belohnung austoben, Stress, Frustration, Einschränkung geht gar nicht. Hunde kläfften sich an und die Menschen schauen selig in die Runde, weil schließlich ist alles positiv. Oder?
Hundetraining statt Erziehung?
Mit „positiv“ ist gemeint, dass ausschließlich positiv trainiert wird, also durch positive Verstärkung/Belohnung. Gemeinhin erschöpft sich das im Füttern der Hunde mit Leckerli, Ziel ist es, dass der Hund auf keinen Fall in irgendeiner Form negative Emotionen (Frustration, Stress, Einschränkung) erfährt, sondern das Dressieren von Verhalten. Im Anschluss versuchen die Menschen den Hund über die erlernten „Kommandos“ durch den Alltag zu steuern, was oftmals hoffnungslos schiefgeht. Warum?
Der große Fehler ist wohl, dass Training mit Erziehung verwechselt wird. Unter Erziehung verstehen wir die pädagogische Einflussnahme auf die Entwicklung und das Verhalten heranwachsender Hunde, Ziel ist es, diese gut in unseren Alltag und unser Leben zu integrieren. Unter Erziehung verstehen wir auch das Vermitteln von Kompetenzen, Regeln, Werten, den Platz im sozialen Gefüge, das Respektieren der Hierarchie, die Leitplanken, innerhalb der man sich bewegt. Das erfordert natürlich auch Kompetenzen, etwa dass der Hund nicht jedem Impuls nachgibt und auch Frustration aushält, also nicht so tolle Emotionen. Womit wir lerntheoretisch bei der Strafe wären, denn wie soll denn eine Einschränkung des Hundes oder das Unterbinden eines Verhaltens sonst interpretiert werden? Wie sonst außer durch das Empfinden negativer Emotionen soll die Toleranz diesen gegenüber gelernt werden? Ergo ist Erziehung und das Vermitteln grundlegender Kompetenzen ohne Strafe nicht möglich, wohingegen das Erlernen von Verhalten, das wir gerne abrufen wie etwa der Rückruf keine Strafe brauchen.
Nicht ignorieren lassen!
Ohne Erziehung wird dein Hund „grenzenlos“, er verselbständigt sich, entzieht sich deiner Kontrolle und Führung, agiert lustbetont, sozial unverträglich und reagiert aggressiv, wenn es gerade nicht passt für ihn. Die beißfreudigen Hunde, die ich im Training habe, wurden praktisch alle „ausschließlich positiv“ erzogen, soll heißen Kommandos wurden antrainiert, aber nie wurde dem Hund klargemacht, dass sein Verhalten nicht akzeptabel ist.
Dazu ein Beispiel: dein Hund kennt seinen Namen, er schaut dich auch an, wenn du ihn sagst, außer er hat was Wichtigeres zu tun. Nach einigen Wiederholungen hat dein Hund gelernt, dass das ohne Konsequenzen bleibt, ergo wird er immer seltener auf seinen Namen hören. Jetzt kannst du das natürlich wieder trainieren, aber in dem Augenblick, in dem dein Hund nicht auf dich hört, musst du was tun, zum Beispiel ihn bei dem, was er gerade tut stören, nerven, bis er aufhört und dich anschaut.
Dem hund Grenzen setzen
Ein anderes Mittel, um deinen Hund zu vermitteln, dass beispielsweise das Herumkauen auf der Leinen nicht akzeptiert wird, ist die Maßregelung, also das ganz klare Setzen einer Grenze in einer bestimmten Situation durch eine Ermahnung in entsprechender Stimmlage und Körperhaltung. Lerntheoretisch betrachtet ist das eine positive Strafe und verursacht natürlich ein „negatives“ Gefühl, was auch Sinn und Zweck des ganzen ist. Wenn also der dreiste Junghund dem Älteren das Spielzeug wegnimmt, gibt es was auf die Rübe. Und der Junghund wird sich merken, dass das nicht in Ordnung ist. Punkt. Werden die zwei spinnefeind? Nein. Werden sie sich in einem dauerhaften Konflikt auf Leben und Tod befinden? Nein, eben nicht, die Angelegenheit ist geregelt, für das Zusammenleben in einer Gruppe notwendig und wichtig. Ist der Junghund traumatisiert? Nein. Hat er Stress? Ja, vermutlich. Lernt er was? Ja, definitiv. Ist die Beziehung geschädigt? Nein, weil klar kommuniziert wurde, was nicht läuft. Warum also schaffen es viele Halter nicht, ihrem Hund Grenzen zu setzen und den (zumeist pubertierenden) Kerl auch mal zurechtzuweisen?
Natürlich musst du nach einer Maßregelung deinem Hund signalisieren, dass er wieder im grünen Bereich ist, oder du initiierst ein Spiel, versöhnst dich mit ihm und sagst auch ein lautes „sind wir wieder gut?“.
Dieses „hör auf damit“ ist deshalb so wichtig, weil du in der Hierarchie (die Grundlage einer sozialen Gruppe!) über dem Hund stehst. Du bestimmst, was geht und was nicht, in der Situation, im Augenblick, nicht in gestellten Trainingssituationen mit Belohnung Tage später, sondern hier und jetzt. Passiert das nicht, hast du einen Hund, der keine Grenzen kennt, der womöglich verhaltensauffällig wird, und am Ende der Geschichte als Wanderpokal im Tierheim landet.
Erziehung brauCht Strafe
Der Traum von einer Welt ohne negativen Emotionen ist Nonsens, auch wenn ganze Bücher darüber geschrieben werden, so funktioniert Leben nicht. Unsere Aufgabe ist es zu lernen, mit Negativem umzugehen, daran zu wachsen, das zu akzeptieren. Hund und Mensch gehören zu den anpassungsfähigsten Lebewesen auf diesem Planeten, ergo kann eine negative Emotion jetzt nicht das Todesurteil sein.
Korrekt gesetzte Strafen sind nicht grundsätzlich schlecht, beeinträchtigen weder das Wolhbefinden oder das Vertrauen zu ihrem Mensch nachhaltig sofern es eine stabile Bindung gibt. Und das ist auch Stand der Wissenschaft, sowohl bei Menschen als auch beim Hund. Die Grenze ist das zufügen von Schmerzen, völliges Tabu für mich, obwohl einige Trainerkollegen das ganz anders sehen und auch Argumente haben. Über alles betrachtet ist es natürlich Ziel zum überwiegenden Teil mit Belohnungen in der Erziehung zu arbeiten, Alternativverhalten zu lernen, einen freundlichen Umgang zu pflegen. Aber in diesem 1% der Situationen ist eben auch mal ein lautes Wort, eine strenge Ermahnung von uns verlangt.
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