Einer der Dauerbrenner, wenn es um Hunde geht: ihr Jagdverhalten und hier vor allem das Hetzen aller möglichen Geschöpfe, vom Hasen bis zum Radfahrer. Immer wieder gehen sie selbstständig auf die Jagd, so denken wir. Und das kann ganz schön nerven. In diesem Fall steckt jedoch etwas ganz anderes dahinter.
Eigentlich war das alles so in Ordnung wie es ist und alle waren zufrieden, ja beinahe glücklich: Frau Müller hatte sich endlich ihren großen Wunsch erfüllt und sich einen Hund zugelegt. Nach langen Suchen und vielen mehr oder weniger guten Ratschlägen aus ihrem Umfeld hatte sie sich für einen Australian Shepherd Welpen aus einer inländischen Zucht entschieden. Luna wurde sie genannt, und entwickelte sich rassetypisch und bilderbuchmäßig: motiviert, mit dem will to please, aufgeweckt, ein lebendiger Hund, selbstbewusst und sozial verträglich.
Der perfekte Rückruf
Frau Müller war glücklich, zusammen machten sie kleine Wanderungen, Luna durfte regelmäßig mit Artgenossen Kontakt haben, übte brav das hündische Einmaleins und war rundum problemlos, wenn Besuch kam oder Frau Müller im Homeoffice arbeitete. Besonders stolz war Frau Müller auf den Rückruf, den sie mit Luna trainiert hatte. Ein Doppelpfiff und Luna machte sich -egal was sie gerade tat- im Schweinsgalopp auf den Weg zu ihrem Menschen. Das ging so zackig, dass es Luna manchmal nicht schaffte rechtzeitig stehenzubleiben und an Frau Müller vorbeischoss, ein echter Wirbelwind eben. Der Rückruf war sorgfältig aufgebaut, wurde immer entsprechend belohnt und oft geübt. Ja, Frau Müller hat manchmal damit angegeben, als überaus engagierte Hundehalterin durchaus verständlich. Denn während andere Hunde ihren Menschen nicht einmal ignorieren, wenn sie gerufen werden, legt Luna den Turbo ein und lässt sogar ein flottes Jagdspiel sausen.
Leider bekam nach einiger Zeit die harmonische Beziehung einen Riss: Luna war wiederholt im Freilauf vom Weg in den Wald abgebogen, zuerst nur ein, zwei Schritte, dann schon ein gutes Stück. Frau Müller hat dann den Doppelpfiff gemacht, Luna ist sofort angewetzt wie eine Irre und hat ihre Belohnung abgeholt. Das war mal eine Handvoll Leckerli, der geworfene Ball, der Futterbeutel oder einfach viel Lob von ihrem geliebten Menschen. So machte sich Frau Müller nicht allzu viel Sorgen über Lunas neue Eigenheit, schließlich war man Weltmeister im Rückruf.
Was tun gegen Jagdverhalten?
Bis dann eines Tages, als Luna wieder ein paar Meter in den Wald geht, vor ihr ein Reh aufspringt. Ein Hund tut, was ein Hund tun muss: hetzen. Frau Müller pfeift sich die Seele aus dem Leib, aber Luna tut weiter, was ein Hund tun muss. Zwar ist sie nach einer Minute wieder bei ihrem Menschen, völlig außer Atem, mit Schaum vor dem Maul, aber sie ist da. Frau Müller ist völlig geschockt, Luna ist doch ein Vorzeigehund und nie und nimmer hätte sie ihr das zugetraut. Das arme Reh! Der Heimweg wird an der Leine angetreten, über dem Traumpaar hängt eine dunkle Wolke.
Wieder zu Hause durchforstet Frau Müller das Internet nach guten Tipps, wie man Luna das Jagen abgewöhnen kann. Viele Ratschläge liest sie da, von „arbeiten an der Beziehung“ bis zur Ernährungsumstellung und Einschränkung des Freilaufs. Auch die Frage, ob sie Luna schon mal Wild verfüttert hat, kommt wie das Amen im Gebet. Als erste Maßnahme lässt Frau Müller -verantwortungsvoll wie sie ist- Luna nicht mehr von der Leine. Luna ist gefrustet und watschelt wenig erfreut an der Schleppleine auf den Spaziergängen und Wanderungen mit, die zunehmend unharmonischer werden. Wer kann es einem Hund, der das Laufen braucht, verdenken?
Jagen in der Realität
Bis ich dann eines Tages ein Mail von Frau Müller bekomme, die es einfach nicht akzeptieren will, dass ihre geliebte Luna jetzt nur noch an der Leinen gehen kann. So hatte sie sich das Zusammenleben nicht vorgestellt, und auch all die guten Tipps, die sie bekommen hat, waren am Ende nicht hilfreich. Noch schlimmer: sie zweifelt an sich selbst und denkt, sie habe Fehler bei der Erziehung ihres Lieblings gemacht. Wir treffen uns also zu einem gemeinsamen Spaziergang, und ich bin schlagartig hin und weg von Luna. Sie gibt und braucht sehr viel Aufmerksamkeit, ist aufgeweckt, aber außerordentlich höflich bei Begegnungen mit anderen Hunden, interessiert sich für die Umgebung und ist immer ansprechbar.
Nach zwanzig Minuten darf Luna von der Leine. Mal vor uns, dann hinter uns, bewegt sie sich am Weg, bis sie dann nach ein paar Minuten langsam in den Wald abbiegt. Als Frau Müller nach der Pfeife greift, bitte ich sie zu warten; ich würde gerne wissen, was Luna macht. Und die steht ein paar Meter im Wald und guckt in unsere Richtung, Jagen sieht anders aus. Offensichtlich wartet sie darauf, dass Frauchen pfeift …..und sie sich eine fette Belohnung abholen kann. Erwischt!
Jagen als Handlungskette
Wir wiederholen das ein paar mal und es wird immer deutlicher: Luna geht in den Wald um gerufen zu werden, sie hat eine Handlungskette gebildet. Pfeift Frau Müller nicht, kommt sie nach ein paar Minuten von alleine aus dem Wald, springt hoch, schüttelt sich. Fehlt nur noch ein „Pfoa, das ist gemein“. Und somit ist der Trainingsansatz klar: es darf sich für Luna nicht mehr lohnen in den Wald zu gehen, dafür braucht es eine Alternative.
Nach ein paar Wochen hat Luna gelernt, dass ihre Handlungskette nicht mehr funktioniert, der Wald ist uninteressant geworden. Somit ist auch die Wahrscheinlichkeit, auf ein Reh zu treffen und zu tun was Hunde so tun, verschwindend gering geworden. Frau Müller zweifelt nicht mehr an sich selbst, Luna darf wieder öfters ohne Leine unterwegs sein, und es gibt tolle Spiele mit ihrem Menschen anstatt Rückrufmarathons.
Was können wir daraus lernen?
Manchmal sieht Verhalten nur so aus, als ob. Die Motivation hinter Lunas Verhalten war der Schlüssel für das Training. Und Lunas Mensch hat nicht aufgegeben und konsequent mit ihr trainiert.
Das Internet weiß nicht alles, und gerade wenn es um Verhalten geht, ist immer die Vorgeschichte und der Kontext von großer Bedeutung, um einen Trainingsansatz zu finden. Auch werden wir mit unseren Hunden manchmal „betriebsblind“ und unsere Beobachtung von deren Verhalten ist eher eine freundliche Interpretation.
Gutes, richtiges Training kann auch mal Nebeneffekte haben. Dadurch solltest du dich aber nicht entmutigen lassen, sondern dich fragen, was du besser machen kannst.
Das Jagdverhalten ist nicht etwas, was man dem Hund abgewöhnen kann, obwohl das oft so beworben wird. Was man allerdings tun kann, ist es in Bahnen zu lenken, Alternativen anzubieten, um die Frustration nicht zu groß werden zu lassen. Und was natürlich immer hilft, ist eine Schleppleine als Kompromiss, wenn die Gefahr besteht dass mein Hund jagt.
Die Geschichte ist vollkommen lächerlich.......Der Hund hatte niemals einen Jagttrieb